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Vertrauen Sie in autonome Verkehrsmittel?

Einsteigen und losfahren – und das ohne Fahrer. Das autonome Fahren ist längst keine Zukunftsvision mehr. Doch eine der größten Herausforderungen für die Hersteller von autonomen Autos und Flugzeugen heißt: Das Vertrauen der Kunden in die Technik gewinnen, damit diese in autonome Verkehrsmittel steigen. Diese müssen lernen, die Kontrolle abzugeben.

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AXA PARTNERS

Foto:
Getty / Jorg Greuel

März 2020

Wer mobil ist, muss vertrauen. Nicht nur anderen Menschen, also etwa dem Automechaniker, der hoffentlich die Winterreifen fest verschraubt hat. Oder dem Piloten, der sich bitte sicher sein sollte, dass man bei diesem Wetter auch wirklich starten kann. Sondern immer häufiger auch Maschinen, Computern, intelligenten Systemen. Schon lange übernehmen Autopiloten den Passagierjet, sobald der auf Reiseflughöhe ist, und steuern ihn zur Destination. Viel länger schon sorgen vergleichsweise simple mechanische und elektronische Systeme etwa in Fahrstühlen dafür, dass Menschen sicher aufwärts und abwärts befördert werden. Und seit neuestem bringen vielerorts autonom fahrende U-Bahnen ihre Passagiere selbsttätig ans Ziel.

Wenn aber ausnahmsweise doch mal ein Fehler passiert, dann entziehen die Menschen den Maschinen schnell ihr Vertrauen. Die Statistik zeigt: zu Unrecht. Weltweit sterben jedes Jahr 1,25 Millionen Menschen im Straßenverkehr, meldet die Weltgesundheitsorganisation. Bis zu 94 Prozent aller Unfälle auf der Straße geschehen, weil Menschen einen Fehler gemacht haben. Autonome Fahrzeuge dagegen könnten die Zahl vor allem tödlicher Unfälle drastisch reduzieren. Ähnlich zuverlässig könnten Bordcomputer in anderen Verkehrsmitteln agieren, zum Beispiel in fliegenden Passagierdrohnen. Sensoren, Rechenkapazität und vor allem Künstliche Intelligenz sorgen zunehmend dafür, dass Menschen reibungslos an ihr Ziel gelangen. Sie stellen die Mobilität der Zukunft sicher. Je mehr positive Erfahrungen Menschen mit diesen Systemen sammeln, desto mehr werden sie ihnen auch vertrauen. Und irgendwann froh sein, dass ein Computer am Steuer sitzt und nicht etwa ein fehlbarer Mensch.

 

Lernen, auf das autonome Auto zu vertrauen

Eigentlich hätten sie sich zu ihren Mitreisenden umdrehen können. Hätten mit ihnen sprechen, spielen, arbeiten können, je nachdem. Das aber fiel den Menschen, die in einem vollautomatisierten Fahrzeug dort saßen, wo früher mal der Fahrersitz installiert war, ausgesprochen schwer. Sie blickten lieber weiter in Fahrtrichtung und wollten die Kontrolle nicht abgeben. Und das, obwohl es nicht einmal wirklich etwas zu regeln oder zu lenken gab.

Denn Professor Andreas Herrmann, Leiter des Instituts für Consumer Insight der Schweizer Universität St. Gallen, hatte die Probanden für eine seiner Untersuchungen in einen Fahrsimulator gesetzt. Und der verhielt sich wie ein komplett autonom fahrender Pkw. Es gab also nichts zu kontrollieren. Während der simulierten Testfahrt gab Herrmann den Teilnehmern darum irgendwann die Anweisung, den Fahrersitz umzudrehen und den Computer fahren zu lassen. Doch viele der Testpersonen zögerten. „Es war überraschend, wie hoch die Hemmschwelle war, selbst im Simulator“, sagt Herrmann. „Die Mehrheit musste sich wirklich anstrengen. Sie vertrauten der Maschine nicht ausreichend.“ 

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Schlafend zum Zielort gefahren werden – das ist Volvos Vision eines autonomen Fahrzeugs. Ihr Concept Car 360c ist eine von vielen Vorschlägen wie das autonome Fahren in Zukunft aussehen könnte.
© Volvo

Die Handlungen des autonomen Autos nachvollziehen

In den vergangenen Jahren haben sich Szenarien wie das von Herrmann getestete rasant entwickelt: Vollkommen autonom fahrende Transportmittel werden schon in naher Zukunft selbständig Menschen von A nach B fahren. Das Bordsystem aus Sensoren, Rechenleistung und künstlicher Intelligenz übernimmt dabei zunehmend die Kontrolle – und muss dafür immer komplexer werden. Schließlich soll es auch in unübersichtlichen Situationen den Überblick behalten. Doch was genau die Bordcomputer gerade entscheiden und warum, das können durchschnittliche Passagiere oft nicht mehr nachvollziehen. Sie sollen ihr Leben also in die Hand einer Maschine legen, die sie nicht verstehen. Die Folge: Viele trauen automatisierten Automobilen noch nicht recht über den Weg. Das Vertrauen ist jedoch der Punkt, der darüber entscheidet, ob autonomen Fahrzeugen in den kommenden Jahren der Durchbruch gelingen wird. Anbieter von autonomen Fahrzeugen und entsprechenden Dienstleistungen tun also gut daran, zunächst das Vertrauen ihrer Kunden zu gewinnen. Und zwar nicht nur das von wagemutigen Early Adopters und Betatestern. Sondern das aller potenziellen Kunden.

Doch wie können die Anbieter und ihre Systeme das Vertrauen der Passagiere gewinnen? Zunächst vor allem, indem sie vorhersagbar handeln, hat das internationale Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) in einer Studie herausgefunden. Hondas Bordsystem HANA beispielsweise stellt sich über Kameras und Sensoren auf den emotionalen Zustand der Mitreisenden ein, kommuniziert dementsprechend mit ihnen und passt sogar den Fahrstil an. Das beruhigt.

Kommunikation als Schlüssel zum Vertrauen

Abbremsen, abbiegen, rückwärtsfahren – was die Fahrzeuge auf der Straße vorhaben, sollten sie eindeutig mitteilen. Vorher. Und zwar nicht nur ihren Insassen. Sondern auch anderen Verkehrsteilnehmern. Während jetzt noch Fahrer winken, lächeln oder schimpfen, kommunizieren die selbstfahrenden Vans des texanischen Startups Drive.ai über ringsum angebrachte LED-Anzeigen. Dort teilen sie dann beispielsweise einem Fußgänger mit: „Ich warte auf Dich“.

„Abbremsen, abbiegen, rückwärts fahren – was die Fahrzeuge auf der Straße vorhaben, sollten sie eindeutig mitteilen.“

Wenn Menschen in autonome Fahrzeuge einsteigen, die diesen grundlegenden Regeln folgen, ist die Begeisterung hinterher meist groß, berichtet der Konsumentenforscher Andreas Herrmann: „Es braucht Anwendungen und positive Erlebnisse mit dieser Technologie, damit sich Vertrauen bilden kann.“ Er plädiert für einen Stadtteil oder eine ganze Stadt in Europa, die konsequent auf moderne Mobilitätskonzepte setzt und wo Menschen darum Erfahrungen mit autonomen Fahrzeugen sammeln können. Damit sie lernen: Diese Fahrzeuge sind sicher.

Ein Gefühl von Sicherheit, das hat das Capgemini Research Institute in einer aktuellen Studie herausgefunden, ist die Grundlage für jegliches Vertrauen. Technikskeptiker werden erst dann in Robotaxis oder autonome Edelkarossen einsteigen, wenn sie wissen, dass diese gefeit sind gegen Hacking-Angriffe und technisches Versagen – und dass klar geregelt ist, wer für den Schaden aufkommt, sollte es doch einmal einen Crash geben.

191_Titelstory_img_2Die Künstliche Intelligenz des Start-ups Humanising Autonomy kann das Verhalten von Menschen sogar in verschiedenen Kulturräumen voraussagen. Das ist wichtig, da sich ein Fußgänger in Tokio wohl anders verhalten würde als einer in London.
© Volvo

 

Künstliche Intelligenz sagt menschliches Verhalten voraus

„Damit es sicher ist, muss jedes Fahrzeug in Echtzeit verstehen, was alle anderen Verkehrsteilnehmer ringsum tun“, erklärt Maya Pindeus, Mit-Gründerin und CEO von Humanising Autonomy. Das 2017 in London gegründete Startup mit rund 20 Mitarbeitern hat eine Künstliche Intelligenz hergestellt, die menschliches Verhalten analysiert. Wird diese Frau gleich losfahren? Hat dieser Mann Augenkontakt mit dem Fahrer aufgenommen, während er telefoniert? Bemerkt das Kind auf dem Rad das herannahende Auto? Solche Situationen analysiert Humanising Autonomy mit einer Vielzahl von Softwaremodulen.

Seine Software hat das Startup mit Bilddaten aus sehr unterschiedlichen Quellen trainiert, von Überwachungskameras über private Kleingeräte auf Armaturenbrettern bis zu Hightech-Sensoren. Dadurch ist die Künstliche Intelligenz sehr robust und flexibel einsetzbar geworden. Sie kann sogar das Verhalten von Menschen in unterschiedlichen Kulturräumen wie etwa Tokio oder Johannesburg vorhersagen. Das ist kompliziert, da sich Fußgänger, Radfahrer oder Fahrzeugführer in unterschiedlichen Kulturen auf unterschiedliche Art auf der Straße bewegen. Mit der Software von Humanising Autonomy, die zum Beispiel von Daimler angewendet wird, können Fahrzeuge das Verhalten der Menschen genauer einschätzen. Die Fahrzeuge treffen damit bessere Entscheidungen – und fahren damit Pindeus zufolge sicherer als menschliche Fahrer.

„Menschen überschätzen regelmäßig ihre Fähigkeit, Auto zu fahren“, hat der Forscher Andreas Herrmann in seinen Fahrsimulatoren herausgefunden. Zugleich sind Menschen gegenüber Fehlern anderer Menschen am Steuer nachsichtig. Die Systeme müssen darum doppelt so gut sein wie Menschen, bevor sie auf der Straße akzeptiert werden. „Menschen verzeihen wir“, sagt Herrmann, „Maschinen verzeihen wir nicht.“

Autonome Flugtaxis: Vertrauen in luftiger Höhe

Beim Autofahren scheint die Umgebung bereits oft unübersichtlich und schwierig zu kontrollieren. Beim Fliegen kommt sogar eine weitere Dimension hinzu – die Höhe. Kein Wunder, dass das autonome Fliegen ebenfalls ein erhebliches Maß an Vertrauen in die Technologie voraussetzt.

„Das wäre eine Revolution, vergleichbar mit der Einführung des Autos.“

Einige Unternehmen, etwa die deutschen Start-ups Lilium und Volocopter, sind nichtsdestotrotz dabei, autonom fliegende Passagierdrohnen zu entwickeln – eine Art Lufttaxi ohne Piloten. Einsteigen, über verstopfte Straßen hinwegfliegen und entspannt am Ziel ankommen. Und das ganz ohne fossile Kraftstoffe, sondern elektrisch angetrieben.

Besonders für Menschen in Megacities, für die Verkehrschaos und verpestete Luft zum Alltag gehören, muss das himmlisch klingen.

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Ist das die Zukunft von Urban Air Mobility? Passagier-Drohnen von EHANG fliegen bereits heute durch die chinesische Mega-City Guangzhou, im Jahr 2020 sollen weitere Städte folgen.
© Ehang


Tausend vorbestellte Flugdrohnen

Ein chinesisches Unternehmen hat hier die Nase vorn: Ehang. In verschiedenen Städten weltweit hat das Unternehmen sein Fluggerät bereits abheben lassen. In vier chinesischen Städten läuft eine Art Testbetrieb. Neben Waren transportieren Ehang-Flugdrohnen dort bereits Passagiere, und der Ehang-Gründer selbst fliegt täglich mit der Drohne in sein Büro in der südchinesischen Stadt Guangzhou. Für die Fertigung hat sich Ehang mit dem Österreichischen Aerospace-Konzern FACC zusammengetan. „Es gibt bereits mehrere tausend Vorbestellungen“, sagt Andreas Perotti, Director Marketing & Communications bei FACC. „Bis Ende nächsten Jahres planen wir, 300 Ehangs zu produzieren.“

Ebenfalls im kommenden Jahr sollen die Maschinen dann auch zum ersten Mal von einer breiten Öffentlichkeit genutzt werden können. Nämlich als Shuttle bei der Expo in Dubai. Die Zukunft scheint zum Greifen nahe. Was gestern noch Science-Fiction war, könnte morgen bereits Realität sein – und das nicht nur für einige Wohlhabende, die sich bereits heute in Städten wie São Paulo oder Los Angeles anstelle eines Taxis einen Helikopter bestellen können, um von A nach B zu kommen. Das ist teuer. Nicht zuletzt wegen der Piloten, die bezahlt werden müssen, und des hohen Kraftstoffverbrauchs. „Mit elektrisch angetriebenen und autonom fliegenden Drohnen könnte Urban Air Mobility für jeden und jede erschwinglich werden und das Flugtaxi so in Zukunft zum normalen Verkehrsmittel werden“, so Perotti.

Passagierdrohnen ersetzen Taxifahrten

Davon geht auch der Fahrdienstvermittler Uber aus und rechnet vor, dass Flüge in elektrischen Passagierdrohnen langfristig sogar günstiger sein könnten als eine Taxifahrt auf dem Boden. Und die Unternehmensberatung Roland Berger rechnet vor, dass in rund 30 Jahren immerhin 100.000 Passagierdrohnen im Einsatz sein könnten. Manfred Hader ist Partner bei Roland Berger und Co-Autor der Studie „Urban Air Mobility“. „Dass die Zeit reif für Urban Air Mobility ist, hängt mit verschiedenen technischen Fortschritten zusammen, zum Beispiel was elektrische Antriebe und schnelle Datenübertragung betrifft. 5G-Netze, die bald Standard sein werden, sind unter anderem eine wichtige Voraussetzung für das autonome Fliegen“, sagt er.

Offene Fragen auf dem Weg zum autonomen Fliegen

Doch es gibt auch zahlreiche Hürden und offene Fragen, vor denen die Urban-Air-Mobility-Pioniere stehen. Denn es genügt eben nicht, eine Passagierdrohne zu entwickeln. Ein neues Ökosystem muss entstehen: Start- und Landeplätze, Buchungssysteme, Aufladestationen und vor allem Sicherheitskonzepte, die auch die Luftfahrtbehörden überzeugen. Denn Sicherheit muss höchste Priorität haben, darin sind sich Experten einig. Nur dann werden es die meisten Menschen überhaupt wagen, autonom zu fliegen. Das spiegelt auch eine Studie des Digitalverbands Bitkom. Für 70 Prozent der Befragten kam es nicht infrage, sich in ein Flugzeug ohne Piloten zu setzen. Der häufigste Grund für die Ablehnung war die Annahme, dass kein Computer die langjährige Erfahrung eines Piloten ersetzen könne.

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Braucht es den Menschen zum Eingreifen?

Manfred Hajek schließt sich dieser eher skeptischen Haltung an, obwohl der Professor für Hubschraubertechnologie ein Luftfahrtenthusiast ist. „Autonom fliegende Passagierdrohnen sind ein Hype“, sagt er und lenkt den Blick auf Flugzeuge, die bereits über lange Strecken im Autopilot fliegen. „Das entscheidende ist, dass der Autopilot Fehler machen darf. Denn es gibt zwei Piloten im Cockpit, die eingreifen können und die Maschine überwachen.“ Sind sie dazu nicht in der Lage, können tragische Unfälle geschehen, wie die Abstürze von zwei Boing-737-Max-Maschinen innerhalb eines halben Jahres gezeigt haben.

Erst wenn es gelingt zu beweisen, dass Fluggeräte ohne menschlichen Eingriff auch unvorhergesehene Ereignisse sicher erkennen und richtig auf sie reagieren können, wird sich das autonome Fliegen durchsetzen können. Das wäre eine Revolution, vergleichbar mit der Einführung des Autos. Bis das von der breiten Masse angenommen wurde, hat es im Übrigen auch Jahrzehnte gedauert.

 

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