< Zurück

Wie entstehen Fake News?

Fake News und Verschwörungstheorien verbreiten sich heute, im Zeitalter von Vernunft und Logik, besonders rasant. Im Interview erklärt der Philosoph Philipp Hübl, wieso Menschen Fakten und Tatsachen misstrauen.

Text:
AXA PARTNERS

Bild:
Jonas Holthaus

April 2020

Herr Hübl, steckt die Wahrheit in einer Krise?

Auf keinen Fall. Wenn ich von „Wahrheit“ spreche, meine ich im philosophischen Sinne eine wahre Aussage. Jeder glaubt daran, dass es Tatsachen gibt wie „2+2=4“ oder „Berlin ist die Hauptstadt von Deutschland“. Nur in wenigen Bereichen, in denen es um unsere moralische Identität, also Weltanschauung, geht, ist einigen Menschen die Wahrheit plötzlich nicht mehr so wichtig. Sie wollen dann unbedingt ihre Weltsicht bestärken und gehen soweit, allem zu widersprechen, was ihre Ideologie nicht unterstützt oder fälschen sogar Nachrichten aktiv selbst. 

Wo sind Fake News besonders präsent? 

Sie tauchen vor allem am linken und rechten politischen Rand auf. Am rechten Rand werden sie benutzt, um Menschengruppierungen, die „fremd“ sind, zu diskreditieren und diese Weltanschauung zu verbreiten. Am linken Rand wiederum gibt es Fake News rund um gesundheitliche Themen, weil großen Unternehmen nicht getraut wird und man Minderheiten vor diesen schützen will.

Und wie tickt eine Person, die Fake News verbreitet? 

Ich unterscheide drei Typen: den Lügner, den Bullshiter und den Trottel. Der Lügner sagt absichtlich die Unwahrheit, um Menschen zu täuschen und seine Weltsicht zu verbreiten. Der Bullshiter erzählt einfach etwas, weil er informiert wirken will, und nimmt dabei die Unwahrheit billigend in Kauf. Der Trottel ist fahrlässig und teilt Inhalte, ohne die Quellen zu überprüfen. Wir sollten uns daher antrainieren, Fakten unabhängig von dem zu sehen, wie wir sie gerne hätten. Wenn das jeder tun würde, gäbe es keine Fake News. Sie werden schließlich erst zu „News“, wenn genug Bullshitter und Trottel sie klicken, liken und teilen. 

Werden Menschen für Verschwörungstheorien anfällig, wenn diese Skepsis überhandnimmt?

Das ist ein ganz schmaler Grad. Alle Verschwörungstheoretiker sind auch Skeptiker. Kritisches Denken ist eine wissenschaftliche Haltung. Das kritische Denken schlägt bei Verschwörungstheoretikern jedoch ins Extreme um. Sie zweifeln dann auch gut belegte Fakten an. Meist fehlt ihnen das nötige Grundwissen in wissenschaftlichem Denken.

Philisoph Philipp Hübl 


© Jonas Holthaus

Wie wirkt sich das aus? 

Ein kalter Winter widerlegt nicht, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt. Verschwörungstheoretiker schließen jedoch von einem Einzelbeispiel auf die ganze Theorie. Aber so funktioniert Wissen nicht. Das Problem ist eher die menschliche Komponente. Wir sind fehlerhafte Wesen. Jeder Mensch irrt sich mal – auch die besten Wissenschaftler. Die Wissenschaft selbst irrt sich aber nicht.

Was macht Verschwörungstheoretiker noch aus? 

Sie denken, die Falschen seien an der Macht und es gäbe eine Gruppe von Strippenziehern, die für das Leid der Welt verantwortlich ist. Das können die Eliten oder Freimaurer sein genauso wie die CIA oder große Unternehmen. Für Verschwörungstheoretiker passiert nichts per Zufall, alles hat einen Sinn. Zudem haben sie das Gefühl, selbst nichts bewirken zu können. Ihre Theorie dient auch als Rationalisierung für das eigene Unwohlsein, nach dem Prinzip: „Mir geht es so schlecht, weil die Bösen die Fäden in der Hand haben.“

Und damit geben sie die Verantwortung für ihr eigenes Scheitern ab.

Genau. Wir tendieren dazu, die Macht in unserer eigenen Person zu sehen, wenn wir erfolgreich sind. Scheitern wir jedoch, sind die anderen schuld.

Was ist die skurrilste Verschwörungstheorie?

Für mich ist es die Theorie der Reptiloiden. Anhänger glauben, dass die Elite aus Echsenwesen besteht, die sich eine menschliche Haut überziehen. Dazu zählen die Queen, Obama und Lady Gaga.

Klingt nach Science-Fiction. Warum kann man die Menschen nicht glauben lassen, was sie wollen?

Bei manchen Theorien kann man das. Gefährlich wird es, wenn die Theorie auf den Alltag Einfluss nimmt, wie es bei radikalen Impfgegnern der Fall ist. Auch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist gefährlich, egal, ob gegen Juden, Frauen oder Homosexuelle. Das hat uns die Vergangenheit gelehrt. Die Idee der zionistischen Weltverschwörung wurde im Nationalsozialismus zur Propaganda verwendet und hat zum Holocaust geführt.

Was schützt davor, Verschwörungstheorien zu vertrauen?

Bildung! Zwar gibt es auch gebildete Verschwörungstheoretiker, aber tendenziell neigen wir durch kritisches und wissenschaftliches Denken dazu, der Wissenschaft zu vertrauen.

Und gibt es eine Verschwörungstheorie, die für Sie plausibel klingt?

Immer wenn ich höre „Die CIA steckt dahinter!“ ist die Annahme für mich nicht völlig absurd. Aber vielleicht schaue ich auch zu viele Hollywoodfilme.

 

Marketing Content

Blog Posts - Updated

Jetzt lesen

Kommentar